Backstage #2: Warum (nicht) LaTeX?

09.02.2012 | #Backstage

Ich layoutiere und setze meine Rollenspielprojekte in LaTeX, einer Software, deren Wurzeln in den 1980ern liegt.

Ähnlich dem P&P-Rollenspiel hat man LaTeX schon oft den Untergang prophezeit, geben tut's das Ding aber immer noch. LaTeX wird vor allem auf Universitäten benutzt, weil es besonders stark im Umgang mit Formeln und anderen Besonderheiten wissenschaftlicher Dokumente ist. Ins Detail möchte ich dazu gar nicht gehen, auf der Wikipedia ist das ganz gut beschrieben. Für diesen Artikel wichtig zu wissen ist vor allem:

  • LaTeX-Dokumente sind Textdateien, die man in einfachen Text-Editoren bearbeiten kann. Es gibt dazu zwar auch Editoren a la Word und OpenOffice, mit denen man Fett/Kursiv/etc. „erklicken“ kann, aber die verwende ich nicht. LaTeX selbst ist kein Editor.
  • Damit LaTeX weiß, was eine Überschrift ist, was Fett gehört usw., muss man um die betreffenden Wörter/Sätze im Text mit bestimmten Kommandos/Metabefehlen versehen, etwa so, wie man in HTML-Seiten das tut, nur mit einer anderen Syntax. Auf der genannten Wikipedia-Seite gibt es ein Beispieldokument zu sehen.
  • In einem zweiten Schritt werden die Zieldokumente, z.B. ein PDF, aus diesen Text-Dateien mit dem LaTeX-Programm generiert (sowas dauert 2-3 Sekunden für ein 80-seitiges PDF wie das von ROBiN). Erst in diesem Schritt wird das Layout, Farben, Schriften, usw. auf den Text angewandt. Auch hier die grobe Analogie zu HTML: Gemeinsam mit einem CSS (Stylesheet) wird daraus das, was man im Browser sieht.

Daraus ergeben sich für Leute, die so etwas wie Word oder aber auch echte DTP-Software wie Scribus, QuarkXPress oder Indesign gewohnt sind, folgende Nachteile:

  • Man sieht während dem Textschreiben nicht sofort, wie es am Ende aussehen wird. Nimmt man Änderungen am Layout vor, muss man das Zieldokument neu generieren.
  • Alles, was nicht Text ist, ist umständlicher zu handhaben. Bilder z.B. werden nicht per Drag&Drop direkt im Text eingebunden - weil das in einer normalen Textdatei gar nicht geht - sondern man muss im Text Kommandos a la „Bitte später hier Bild.jpg hin, 5cm breit, 8cm hoch“.
  • Layouts macht man ohne Maus, in dem man die Standard-Kommandos von LaTeX umdefiniert bzw. denen, die das können, mit Konfigurationskommandos sagt, wie sie sich verhalten sollen. Das fühlt sich teilweise nach Programmieren an.
  • Man kann mit LaTeX nicht sofort loslegen, ohne sich gründlich einzuarbeiten.

Warum sollte man also 2012 noch mit so einem rückständigen Tool arbeiten wollen, das nicht mal ohne Hilfsmittel WYSIWYG kann? Für mich sind das:

  • Die Qualität des entstehenden Text-Satzes ist für mich ungeschlagen. Zeichen/Wort/Satzabstände sind homogen und ästhetisch. Mittels Gewichtung kann man die noch bis ins Details selbst beeinflussen, z.B. wieviel Silbentrennung gemacht werden darf und wieviel Leerraum zwischen Worten oder Zeichen noch OK ist.
  • Während man den Text schreibt, ist man nicht durch Layoutspielereien abgelenkt: Da wird nicht am Paragraphen mit der Maus gezupft. Da macht man keine Leerzeilen dazu oder weg. Da ärgert man sich nicht, dass in einer Aufzählung die Bullets auf einmal anders aussehen als noch im Paragraph davor, usw. Trotzdem verankert man beim Schreiben bereits die Layout-Information in Form der Kommandos im Text (Überschrift, Fett, ...). In klassischer DTP-Software ist man sonst gezwungen, nur mehr im Layoutprogramm die Texte zu bearbeiten (und dann vermisst man Funktionen einer Textverarbeitung), oder man macht das in der Textverarbeitung und hat dann wieder einen Migrationsschritt in das DTP-Tool.
  • Man kann aus einem LaTeX-Dokument verschiedene Zieldokumente generieren lassen, in meinem Fall z.B. eine Druckversion mit höherer Auflösung aber tintesparenden Bildern, und eine superbunte E-Book Version. Dazu muss man am LaTeX-Dokument nix ändern, sondern nur (einmalig) einen zweiten Layout-Stil definieren. Genauso gut könnte man einspaltiges A5 und zweispaltiges A4 Buch aus einer Quelldatei machen lassen. Zur Zeit experimentiere ich gerade damit, auch ePub Dokumente rauszuspielen.
  • LaTeX macht nur, was man ausdrücklich per Kommandos verlangt. Es versucht nicht, klüger als der Anwender zu sein und automatisch Dinge zu formatieren.
  • LaTeX-Dateien sind Text-Dateien. Damit kann man jegliche Tools benutzen, die auf Text-Dateien operieren können. Man verwendet dann jenen Editor, der einem am liebsten ist. Man kann auch z.B. Versionsverwaltungstools wie Subversion drüber laufen lassen, mit dem man Texte Vergleichen kann und Änderungen leicht sieht. Man kann externe und ggf. bessere Wörterbücher/Rechtschreibkorrekturen drüber laufen lassen. Man kann die Texte leicht in mehrere Dateien zerlegen (z.B. nach Kapitel) und sie per Import/Include Kommando zusammenführen. Usw.
  • Die Layout-Kommandos stehen alle in der Textdatei. Man kann sie genauso einfach suchen & ersetzen oder kopieren & einfügen, wie Wörter im Fließtext.
  • Inhaltsverzeichnis, Index, Glossar, Querverweise, Fußnoten, Zitate/Literaturangaben usw. funktionieren einfach. Beispiel Index: Man setzt um ein Wort einfach das Bitte-auch-in-den-Index Kommando, und das war's. Bei jedem Generieren vom PDF wird nun die Seitenzahl korrekt neu generiert. Verschiebt man im Text jemals den Paragraph, muss man nix weiter bedenken - LaTeX generiert den Index sowieso jedes mal neu. Und das Wort fällt auch nicht unabsichtlich wieder aus dem Index raus - dazu müsste man schon absichtlich das Index-Kommando im Fließtext wieder wegnehmen. Und es versteht sich von selbst, dass das Index-Kommando alle Stückerln spielt, die man von wissenschaftlichen Büchern kennt. „X -> siehe A“, Gruppierungen gleicher Begriffe/Subbegriffe, mehrere Seiten pro Begriff und die wichtigste Seite davon fett, usw. Und da das Index-Kommando ja einfach so im Textfile steht, kann man mit der Suchen-Funktion des Editors bequem von einem Index-Kommando zum nächsten springen.

LaTeX hat aber auch Schattenseiten. Abschrecken kann vor allem:

  • Die Lernkurve. Es gibt viel Dokumentation, aber die muss man eben lesenoder sich erarbeiten, wenn der Standard-Look nicht gut genug ist. Und sind wir uns mal ehrlich, wer liest gerne Rollenspiele, die wie eine Diplomarbeit aussehen.
  • Verwendung eigener Schriften. Die müssen erst mühsam konvertiert werden, weil LaTeX eigene Metadateien benötigt, und nicht direkt mit Truetype, Postscript oder Opentype arbeiten kann.
  • Vom Text umflossene Grafiken, die nicht rechteckig sind.
  • Druck & CMYK. Wer in eine Druckerei gehen möchte, muss sich irgendwann mit dem Thema Farbkonvertierung befassen. LaTeX trägt da nichts dazu bei. Wenn man entsprechend vorsorgt, kann man auch mit LaTeX drucktaugliche PDFs machen, aber man muss selber drauf achten, nicht unabsichtlich doch irgendwo ein RGB-Bild o.ä. einzubetten. Oder man bemüht ein weiteres Tool, das aus dem LaTeX-PDF ein Druck-PDF macht.

Warum verwende ich also LaTeX für meine Rollenspiele? Neben dem Argument der Gewohnheit mag ich besonders:

  • LaTeX ist keine eierlegende Wollmilchsau, sondern tut das, wofür es da ist, und das gut. Für alles Andere lässt es mir die Wahl, z.B. welchen Editor ich verwenden möchte.
  • Index, Inhaltsverzeichnis, Querverweise: die halte ich in einem Rollenspielregelwerk für sehr wichtig, und da ist LaTeX einfach stark.
  • 10 Seiten, 100 Seiten, 1000 Seiten - LaTeX geht da nicht die Luft aus und bleibt verlässlich.
  • Ich sehe meine Texte beim Schreiben zwei mal: einmal als langweilige Textdatei, einmal im generierten Layout. Es ist ja schon schwer genug, selbst seine Tippfehler zu finden, da hilft es, den Text zwangsweise auf unterschiedliche Arten zu sehen und man findet Fehler eher.
  • Da man Layouts eher „konfiguriert“ als „gestaltet“ fällt es mir leichter, Elemente aus einem Layout in ein anderes zu übernehmen, z.B. Monsterblöcke.
  • In der Textdatei sieht man immer die ganze Wahrheit, es gibt keine unsichtbaren Marker oder Elemente, über deren Einfluss auf das Aussehen man sich später wundert.

Vielleicht noch ein Beispiel, was mit LaTeX möglich ist: das TRiAS Regelwerk und die Verwendung davon in ROBiN. TRiAS hat (semi)generische Regeln, die ROBiN verwendet. Die Regeltexte sind also gleich. Daher inkludiert der ROBiN-Band die Kapitel/Dateien von TRiAS und ersetzt (überschreibt) nur die Beispiele, damit die im Sherwood-Forest Fluff sind, und nicht im allgemein gehaltenen TRiAS-Fluff. Ändere ich etwas am Regelwerk, geht die Änderung automatisch in beide Dokumente. LaTeX macht dann einmal ein braunes TRiAS-PDF und ein grünes ROBiN-PDF.

Obwohl LaTeX sehr mächtig und flexibel ist, unterm Strich würde ich es aber trotzdem nicht für My-First-Rollenspiel Projekte empfehlen, weil damit keine schnellen Resultate zu erzielen sind, die gut aussehen. Beim Rollenspiel isst nun mal das Auge mit. Wer aber an mehr als einem Werk/Projekt arbeitet, oder sehr umfangreiche Heartbreaker schreibt, für den könnte sich der Aufwand aber auszahlen.

Ich sehe schon, der Artikel ist bereits jetzt sehr lang geworden, weshalb ich hier vorerst mal abbreche. Fortsetzung folgt.

Auch dieser Artikel ist Teil des RSP-Karneval zum Thema Selbstgeschriebene Rollenspiele auf rsp-blogs.de.